Kunst

Die imaginäre Freundin – Die Briefe der Niki de Saint Phalle

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Es kann fatal sein Lieblingskünstler*innen zu treffen. Vor ein paar Jahren lernte ich einen Schriftsteller kennen, den ich bis dato sehr mochte und es stellte sich heraus, dass er ein ziemlicher Langweiler war. Umgekehrt funktionierte das übrigens genauso: Eine Autorin, die ich nie gerne las, entpuppte sich als eine nette Person. Wie es sich in dieser Hinsicht bei Niki de Saint Phalle verhalten hätte, konnte ich leider nie herausfinden, denn sie starb vier Jahre bevor ich mich überhaupt für Kunst zu interessieren begann.

Niki de Saint Phalle – das war übrigens die mit den grell bunten Plastiken. Meine erste bewusste Begegnung mit den Nanas – denn so heißen ihre charakteristisch überrunden Michelin-Frauen – war in Paris. Ich war im Centre Pompidou, sah den davor befindlichen Strawinski-Brunnen und dachte mir: Äh, ja.

Meine letzte Begegnung mit Niki de Saint Phalle war vor zwei Jahren im Modernen Museum in Stockholm. Da schrieb ich selber über Nanas, aber nicht über die von Niki. Ich hatte ein Romanprojekt, in dem eine der Hauptfiguren ebenfalls „Nana“ hieß und das in der schwedischen Hauptstadt spielte. Bei der Recherche vor Ort entdeckte ich Niki de Saint Phalles Plastiken zufällig wieder, war erstaunt über die Namensgleichheit und den Zufall und beschloss, dass Niki, wenn nicht doch meine Lieblingskünstlerin, so dann doch eine meiner Lieblingsfrauen werden sollte.

Niki wäre eine Freundin gewesen, wie ich sie gerne im Studierendenwohnheim gehabt hätte. Mit Haaren, die so aussahen, als hätte sie siniki-de-saint-phall-364243_1920e mit einer Nagelschere selbst geschnitten (was sie wahrscheinlich auch getan hat). Mit fleckigem Malerhemd breit grinsend. Das ist mein Lieblingsbild von ihr. Dabei wäre Nikis spießbürgerliche Biografie am Anfang kaum zu toppen gewesen. 1949 als Debütantin in die amerikanische High Society eingeführt und dabei auf mehreren Titelblättern von Hochglanzmagazinen erschienen. Ja, damals gab es noch so etwas wie Debütantinnen und damals hatte Niki auch noch einen noch unaussprechlicheren französischen Namen (Catherine Marie-Agnès de Saint Phalle, was auf die französischstämmige Familie zurückzuführen ist). Die Rolle, die sie in dieser Gesellschaft zu spielen hatte, war vorgegeben, das wäre auch Niki klar gewesen, wenn wir in der Gemeinschaftsküche gesessen und über alte Zeiten geredet hätten: „Es war nicht wirklich wichtig, ob ich lernte oder nicht, solange ich die Prüfungen bestand. Mir wurde klar, daß meine Jungfräulichkeit, mein Aussehen, mein Charme und eine bestimmte soziale Herkunft wichtiger waren.“*

Ich als ihre Freundin wäre übrigens nicht mit dem Namen „Niki“ einverstanden gewesen. Er wäre mir zu niedlich gewesen. Aber gut, Wille ist Wille und gelebtes Leben gelebtes Leben.

1950 heiraten Niki und Harry Matthews und das vielleicht auch nicht einmal so unspektaktulär, denn sie müssen dafür vorher erst durchbrennen. Sie landen in Paris, wo Harry sich an einem Musikstudium und später an einem Roman versucht, während Niki Kinder bekommt und depressiv wird. Dann tingeln sie durch die Pariser Künstler*innenszene, dabei lernt Niki auch ihre spätere große Liebe Jean Tinguely kennen. Zugegeben, spätestens ab diesem Moment wird es interessant. Außerdem hätte Niki, meine Freundin, mir das sicherlich auf irgendeinem Häuserdach sitzend folgendermaßen erklärt:

Während der elf Jahre, die ich mit Harry zusammen verbrachte, habe ich mich keinen Moment gelangweilt. Ich liebte meine Kinder und meine Arbeit, mein Leben war ausgefüllt. Von Zeit zu Zeit ging mir jedoch ein Gedanke durch den Kopf: Paradies… Wie gerne würde ich in die HÖLLE hinabsteigen, um die HÖLLE kennenzulernen!“*

Die Ablehnung der Malerin Joan Mitchell, die sie eher für eine malende Mutter als eine professionelle Künstlerin hielt, spornte Niki an, die Hölle der Einsamkeit tatsächlich aufzusuchen und sich radikal der Kunst zu verschreiben. In unser gemeinsames Wohnheim wäre sie wohl eines Tages mit Händen voller Kriegsspielzeug zurückgekommen und ich hätte sie entgeistert angesehen und gefragt, was der Quatsch solle.

Ich lieb[e] diese neue direkte Art mich selbst auszudrücken, anstatt monatelang langsam und geduldig an meinen Ölbildern zu malen“*, hätte Niki wohl geantwortet. Die Phase der Schießbilder hatte begonnen.

Wenn Niki schoss, sah sie aus wie Emma Peel aus Mit Schirm, Charme und Melone. Auch, wenn sie durch die Anwendung von Gewalt in ihrer Kunst etwas tat, was bislang den Männern vorbehalten war, sah sie dabei verdammt heiß aus und das wusste sie auch. Niki, das Cover-Girl, die einstige Debütantin, stilisierte sich zu einer anderen Form von Sexsymbol. Ich hätte das kritisiert und sie hätte bestimmt nicht auf mich gehört. Das Schießen war ihre Form der Therapie, ihr Fertigwerden mit den Männern, mit dem Missbrauch ihres Vaters. Sie wurde süchtig danach, das erkannte sie. Ein kalter Entzug, das hieß bei Niki: die totale Metamorphose: „Von der Provokation zog ich mich in eine innere, weiblichere Welt zurück. Ich fing an, Bräute, Herzen, Gebärende, Huren zu machen, verschiedene Rollen, die Frauen in der Gesellschaft haben können.“*

Als nächstes schuf sie Nana, „HON“ (schwed. für „sie“), „die größte Hure der Welt“*, wie sie mir lachend bei einem Cognac erzählt hätte, schon zwischendurch hustend. Die Besucher im Modernen Museum in Stockholm betraten und verließen Nana durch ihre Vagina, trotzdem gab es „nichts Pornographisches an HON“*, wie Niki mir versicherte. Die Geburtenrate in Stockholm sei nach der Ausstellung dennoch signifikant angestiegen.

Ich habe gelogen. Ich habe Niki kennengelernt. Sie hat sich mir durch ihre künstlerischen Briefe offenbart, die sie nur scheinbar an Nahestehende schickte und die in dem Video von Soko visualisiert und zu Musik gemacht wurden. Sokos Aneignung zeigt, wie sehr die Briefe in Wahrheit für uns alle geschrieben sind. Vielleicht ist Niki mehr als nur eine imaginäre Freundin und obwohl mir ihre Plastiken immer hart am Kitsch vorbeizuschrammen schienen, verstehe ich doch, warum sie das alles machte. Auch das hätte sie mir schließlich einmal, auf eine letzte Zigarette zusammensitzend, erklärt, obwohl ich ihr bestimmt auch immer gesagt hätte, das rauchen nicht gut für sie sei. Sie wäre schließlich schon lungenkrank wegen den Kunstlacken auf ihrer Arbeit, sie würde gewiss einmal daran sterben. Sie hätte lächelnd den Kopf geschüttelt und gesagt: „Ich habe Momente großer Intensität anstelle von Dauerhaftigkeit gewählt“*. Und dann hätte sie einen letzten, tiefen Zug genommen und den Zigarettenstummel aus dem Fenster in die Nacht geworfen. Es hätte für einen kurzen Augenblick wie eine Sternschnuppe ausgesehen, die hell aufleuchtet, bevor sie aufhört zu glühen.

* Alle Zitate sind Niki de Saint Phalles Briefen entnommen, abgedruckt in: Niki de Saint Phalle, Hg. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH, Bonn 1995. Die Darstellung ihres Lebens orientiert sich ebenfalls an den dort abgedruckten Briefen.

Anja Zeltner

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